FORSCHUNG // Brettspiele fördern mathematische Fähigkeiten bei Kindern

FORSCHUNG // Brettspiele fördern mathematische Fähigkeiten bei Kindern

Wer selbst regelmäßig Brettspiele spielt und vom Gelegenheitsspieler mit einfachen Einstiegsspielen zum Vielspieler mit zunehmend komplexeren Spielen mutiert ist, wird bei sich im Verlauf der Zeit vielleicht eine Veränderung der Wahrnehmung von Spielsituationen bemerkt haben. Spiele können unsere Gehirne trainieren. Zum ersten Mal haben Forscher diese These mit handelsüblichen Brettspielen auch bei Kindern im Alter von 4 bis 6 Jahren untersucht.

Die wissenschaftliche Studie „Fostering early numerical competencies by playing conventional board games“ von Hedwig Gasteiger und Korbinian Moeller wurde im Januar 2021 im Journal of Experimental Child Psychology veröffentlicht und ist für interessierte Leser im Netz frei verfügbar. Der Studie geht die Annahme voraus, dass mathematische Kenntnisse im 21. Jahrhundert zu einer zentralen Fähigkeiten gehören, die einen starken Einfluss auf die persönliche und berufliche Entwicklung haben können.

Schon lange ist bekannt, dass sich numerische Kompetenzen im frühkindlichen Alter entwickeln. „Insbesondere frühe numerische Kompetenzen wie verbales Zählen, Zählen von Objekten, Größenverständnis, erste Rechenfertigkeiten und das Erkennen von Ziffern wurden in Längsschnittstudien wiederholt als prädiktiv für die weitere mathematische Entwicklung beobachtet“, so die Forschenden. Ziel jeder Wissensgesellschaft sollte es daher sein, zu überlegen wie Kinder gezielt bei der Erlangung von mathematischen Fähigkeiten frühzeitig gefördert werden können.

 

Ausflug in die Entwicklung eines Kindes

Die Studie untersucht sowohl Kinder, die Spiele mit Farbenwürfeln spielen als auch Kinder, die sich mit Zahlenwürfeln auseinandersetzen. Dabei ist anzumerken, dass die Fähigkeit Farben zu erkennen und zu benennen in der Entwicklung eines Kindes im Alter von ca. 3 Jahren anzusiedeln ist, während ab einem Alter von vier Jahren davon ausgegangen werden kann das Kinder Zahlen bis 5 zählen können, was das Spektrum eines Würfels schon fast ausreizt. Ab fünf Jahren sollte dann der Zahlenraum bis 10 sicher beherrscht werden. Spieleautoren sollten daraus schon einmal den Schluss ziehen, dass Brettspiele für Kinder im Kindergartenalter ab vier Jahren durchaus Zahlen enthalten dürfen. Für Eltern ermöglicht diese Information ebenfalls eine besser Entscheidungsfindung, wenn es darum geht Spiele für die Jüngsten auszuwählen. Frei nach dem Motto „Früh übt sich, was ein Meister werden will“ können Eltern bereits in der frühen Entwicklung spielerisch die Kompetenzen des Kindes fördern.

Bereits im Jahr 1998 gab es eine Studie, welche die positive Entwicklung von Kindern nachweisen konnte, die regelmäßig Brett- und Kartenspiele spielten. In einer nicht streng kontrollierten Interventionsstudie spielten Eltern über einen Zeitraum von 8 Monaten einmal wöchentlich mit der gleichen Kleingruppe von Kindern speziell entwickelte Brett- und Kartenspiele. Die Spiele wurden nach der didaktischen Ideen entwickelt das Zahlenverständnis der Kinder zu unterstützen und fokussierten sich speziell auf das Aufzählen, das Bilden kleiner Mengen, Muster und das Erkennen von Zahlen. Die Eltern wurden in einem Workshop über die Spiele und ihre Spielweise informiert. Das Spielen mit den Kindern lag dann in der Verantwortung der Eltern. Die Ergebnisse zeigten deutlich, dass die spielbasierte Intervention effektiv war. Die Kinder in der Interventionsgruppe zeigten signifikant ausgeprägtere Zuwächse beim Aufzählen, Zählen, Verstehen der Zahlenreihenfolge und Erkennen von Zahlenmustern im Gegensatz zu Kinder in einer Kontrollgruppe, die im gleichen Zeitraum den normalen Mathematikunterricht besuchten.

 

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Zum Hintergrund der aktuellen Studie

Die Autoren der aktuellen Studie aus dem Jahr 2021 versuchten die Fehler vergangener Untersuchungen zu vermeiden und setzten keine speziell für die Studie konstruierten bzw. abgewandelten Spiele ein. Ein zentraler Unterschied bestand darin herkömmliches Spielmaterial zu verwenden, welches Punkte für Mengen verwendet anstatt arabische Zahlen. Als blinder Fleck bisheriger Studien wurde erkannt, dass neben dem reinen numerischen Erkennen oft nicht anerkannt wurde, dass „Muster und Strukturen mit mathematischen Leistungen zusammenhängen“. Gemeint ist damit zum Beispiel die Fähigkeit die Anzahl von Punkten unterscheiden zu können, ohne diese zu zählen oder das bewusste Strukturieren von Gegenständen, damit diese von anderen Personen leichter zu erkennen sind.

Die aktuelle Untersuchung fand unter der wissenschaftlich belegten Annahme statt, dass Brettspiele förderlich für die nummerische Entwicklung von Kindern seien. „Das verbale Zählen spiegelt das Vorwärtszählen als grundlegende Zählfertigkeit wider, aber auch das Weiterzählen und Rückwärtszählen als fortgeschrittenere Zählfertigkeiten. Die Fähigkeit, Objekte zu zählen, deutete auf die Beherrschung grundlegender Zählprinzipien wie Stabilität der Zahlenwortfolge, Eins-zu-Eins-Korrespondenz und Kardinalität hin“ heißt es in der vorliegenden Studie.

Ziel war es zu untersuchen, ob sich mathematische Fähigkeiten durch das Spielen von Brettspielen fördern lassen.

 

Methodische Umsetzung

In Ramen der Studie wurden 95 Kinder aus fünf deutschen Kindergärten zufällig einer Experimentalgruppe und einer Kontrollgruppe zugeordnet. Dadurch entstanden zwei Gruppen, die sich hinsichtlich ihrer allgemeinen kognitiven Fähigkeiten und der Pretest-Ergebnisse nicht signifikant voneinander unterschieden. Während die Kinder in der Experimentalgruppe klassische Würfelbrettspiele wie „Mensch ärgere dich nicht“ oder „Fang den Hut“ spielten, beschäftigten sich Kinder in der Kontrollgruppe mit nicht-nummerischen Brettspielen, wie „Der Maulwurf und sein Lieblingsspiel“ oder „Da ist der Wurm drin“, welche Spielmaterialien mit Farben und Symbolen einsetzen. Beide Gruppen wurden im Rahmen der Studie miteinander verglichen.

Die Kontrollgruppe ist notwendig um die Wirksamkeit einer Intervention in Studien zu verifizieren. Probanden einer Kontrollgruppe durchlaufen meist eine abgewandelte Form des methodischen Ablaufs einer Studie, um aus den Differenzen der Ergebnisse am Ende belegbare Hinweise zu finden, die die wissenschaftliche These belegen oder dieser widersprechen.

 

Wie gespielt und getestet wurde

Beide Gruppen spielten ein oder zwei Mal pro Woche über einen Zeitraum von 4 Wochen für jeweils etwa 30 Minuten. Dabei wurde strikt darauf geachtet, dass insgesamt genau 7 Spielesitzungen durchgeführt wurden. Die Umsetzung fand in Gruppen von 2 bis 3 Kindern statt, die von einem Erwachsenem begleitet wurde. Als erwachsene Spieler wurden 10 Studierende eingesetzt, die ohne spezielle Schulung die Aufgabe bewältigten, um die Rolle eines ungeschulten Elternteils möglich adäquat nachzuempfinden. Sie wurden jedoch darauf hingewiesen, die Kinder nicht maßgeblich zu beeinflussen, sondern immer nur als Hilfen bei Schwierigkeiten zur Seite zu stehen. Die Spielgruppe blieb im Laufe der Studie konstant.

Die Sitzungen wurden von standardisierten Testungen zur Erfassung der numerischen Kompetenzen begleitet. Diese wurde insgesamt 3-mal durchgeführt und fanden vor Studienbeginn (Pre-Test), nach Beendigung der 4-wöchigen Spielesitzungen (Post-Test) und wiederholt nach einem Jahr (Follow-up Test) statt. Während des Testzeitraum hatten die teilnehmenden Kinder keine mathematische Schulung, was in Deutschland üblich ist, da es keinen Mathematiklehrplan für deutsche Kindergärten gibt. Die Forschenden beurteilten die numerischen Kompetenzen im weiteren Sinne, um Trainingseffekte differenziert zu evaluieren und um auch die Beobachtung möglicher Transfereffekte zu ermöglichen. Bei der Bewertung wurden Zählprinzipien, Zählen von Objekten, Erkennen von arabischen Ziffern, Erkennen von Zahlenwörtern und objektbezogenes Rechnen untersucht. Zusätzlich wurde ein Test zur Betrachtung von Strukturen eingesetzt, der die Fähigkeit der Kinder, Strukturen zu erkennen und zu erklären beurteilt, indem bewertet wird, ob Kinder Strukturen als Ganzes berücksichtigen oder einfach zählen, um die Kardinalität einer Menge zu bestimmen.

 

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Ergebnis I – Signifikante Veränderungen nach 4 Wochen

Wir erinnern uns, das Ziel der Studie sollte es sein zu prüfen, ob sich durch herkömmliche, im Handel erhältliche Brettspiele (z.B. Mensch ärgere dich nicht) frühkindliche mathematische Fähigkeiten fördern lassen. Bisherige Studien hatten den Fokus eher darauf gelegt die Auswirkungen von speziell konzipierten Spielen auf die mathematische Entwicklung im frühkindlichen Alter festzustellen.

Im Rahmen der Studie konnte gezeigt werden, dass in kleinen natürlichen Spielgruppen das Spielen von Brettspielen förderlich für das mathematische Verständnis ist. Wie schon dargelegt entwickeln sich Kinder in der Altersstufe von 4 bis 6 Jahren auch ohne spezielle Förderung sprunghaft in ihren mathematischen Fähigkeiten. Die Untersuchung überprüfte nun, ob sich die diese Entwicklung durch gezieltes Spielen herkömmlicher Spiele unterstützen lässt.

Die Verfasser der Studie fassten in der Diskussion über ihre Arbeit folgendes zusammen: „Die Trainingseffekte waren in der Gruppe, die konventionelle, handelsübliche Brettspiele mit traditionellen Punktwürfeln spielte, signifikant stärker ausgeprägt. Insbesondere die Veränderungen vom Pre- zum Post-Test zeigten deutlich, dass Kinder, die Brettspiele mit traditionellen Punktwürfeln (anstelle von Farb-/Symbolwürfeln) spielten, mehr von der Intervention profitierten, was ihre Zählfähigkeiten und ihre konzeptuelle Subitizing-Fähigkeit (d.h. die Fähigkeit, Zahlen in Mengen durch Sehen und Erkennen von Mustern und Strukturen anzugeben) anbelangt“. Im laufenden Test stellte sich heraus, dass Kinder am Anfang noch Punkte auf Würfeln zählten und dann immer schneller darin wurden die Summe sofort zu erfassen, ohne noch zählen zu müssen.

Diese Fähigkeit hört sich zwar trivial an, ist aber für die mathematische Fähigkeit eines Kindes signifikant wichtig. Anerkannte Forschenden konnten belegen, dass das Identifizieren von Ziffern oder das Zuordnen von Ziffern zu Zahlwörtern oder nicht-symbolischen Mengen eine wichtige Brücke zwischen informellem und formalem mathematischen Wissen zu sein scheint.

 

Ergebnis II – Langzeitergebnisse nach einem Jahr

Als besonderes Alleinstellungsmerkmal benennen die Forschenden ihren nach einem Jahr stattfindenden Follow-up-Test. Insgesamt verbesserten sich alle Kinder über den Zeitverlauf, egal welcher Gruppe sie zu Beginn per Zufall zugeteilt wurden. Die Ergebnisse der Follow-up Testung zeigen jedoch auch, dass die Fähigkeit aus Mustern und Strukturen Zahlen in Mengen abzuleiten (konzeptuelle Subitizing) bei Kinder, die mit traditionellen Punktwürfeln gespielt haben, auch nach einem Jahr noch signifikant stärker ausgeprägt war als bei Kindern, welche Farb-/Symbolwürfel verwendeten Im ersten Jahr bringt es den Kindern also nachweislich Vorteile, wenn sie Brettspiele mit Zahlenwürfeln spielen, bezogen auf die mathematischen Fähigkeiten. Natürlich sind die Ergebnisse auf das Jahr des Tests eingeschränkt und lassen sich nicht automatisch fortschreiben – dafür wäre eine Langzeitstudie notwendig.

Bezüglich aller anderen getesteten Parameter zeigten sich keine relevanten Unterschiede mehr zwischen den Gruppen. Dies könnte laut der Studienautoren daran liegen, dass innerhalb des Jahres nicht abgeprüft wurde, ob einzelne Kindergärten trotz fehlendem Auftrag Schulungen in den mathematischen Fähigkeiten durchgeführt haben. In der Studie wird zudem erwähnt, dass die Motivation der Kinder zu Spielen nicht berücksichtigt wurde und dass die Zahlentestgruppe zwischen drei Spielen wechselte, während die Kontrollgruppe nur zwei Spiele zur Wahl gehabt hatte.

 

Fazit – Übung macht den Meister

In der Studie befanden sich Kinder mit unterschiedlichen mathematischen Kompetenzen. Trotzdem profitierten sie als Testgruppe insgesamt von den Spielen mit Würfeln. Es kann daher sinnhaft sein Eltern darüber zu informieren, dass Zahlenwürfel äußerst hilfreich sein können, die Fähigkeiten ihres Kindes zu fördern.

Das Gute ist: Jeder Erwachsene kann das Spielen begleiten und benötigt keine besondere Ausbildung dafür. Es sollten jedoch ein paar Prinzipien eingehalten werden. Die Unterstützung sollte eher als Vorbild der eigenen Aktionen stattfinden. Wichtig ist, dass Erwachsene keine instruktiven Verhaltensweisen oder gar richtige Antworten vorsagen, wenn Kinder während des Spielens einmal in Schwierigkeiten kommen. Besser ist es das Kind verbal zu stimulieren („Was denkst du? “, „Bist du sicher?“, „Zähle noch einmal nach, deine Spielfigur stand hier!“) oder andere am Spiel beteiligt Kinder Hilfestellung geben zu lassen.

Für die Zukunft wollen die Forschenden noch spezifischere Unterschiede feststellen, indem ein Vergleich zwischen Mengenwürfeln und Zahlenwürfeln stattfindet, anstatt von Farbwürfeln. Außerdem wollen sie die Tests eher in das heimische Umfeld verlagern, um realistischere Verhältnisse zu ermöglichen.

 

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SCIENCEDIRECT

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