VORSTELLUNG // Boardgame Historian

VORSTELLUNG // Boardgame Historian

Was haben die drei Spiele „Bloodrage“, „Ein Fest für Odin“ und „Räuber der Nordsee“ gemeinsam? Genau, sie alle thematisieren die Zeit der Wikinger. Diese drei Spiele sind jedoch beileibe nicht die einzigen, die sich diesem Thema widmen. Brettspiele bedienen sich generell und regelmäßig geschichtlicher Themen, ob Wikinger, Mittelalter oder der Antike, um nur exemplarisch einige aufzuzählen.

Doch wie wird dieser geschichtliche Kontext den Spielern vermittelt, welchen Anspruch versucht das betroffene Spiel dabei einzunehmen. Möchte es versuchen Geschichte so detailgetreu wie möglich wiederzugeben oder bedient es sich eher der vorhandenen gesellschaftlichen Klischees? Lässt sich über Brettspiele ggf. Geschichte pädagogisch vermitteln?

Diesen und anderen Fragen widmet sich der Blog Boardgame Historian. Hinter diesem Blog stehen dessen Gründer Lukas Boch, Anna Klara Falke und ein wachsendes Team an Geisteswissenschaftler*innen, die sich mit den in Brettspielen präsentierten Geschichtsbildern sowie den Möglichkeiten der Darstellung von Geschichte im Medium der Brettspiele beschäftigen. Damit möchten sie neben Wissenschaftlern auch eine breite Öffentlichkeit erreichen und mit Spieleautoren und der Spielebranche zusammenarbeiten.

Lukas Boch studierte von 2013 bis 2020 Geschichte und katholische Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seit Mitte 2020 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für historische Theologie und Ihre Didaktik an der katholischen Fakultät der WWU. In seiner Promotion forscht er zum Thema "Brettspiele als (kirchen-) geschichtskulturelle Gattung. Zur Darstellung und Funktion der Kirchengeschichte des Mittelalters in modernen Brettspielen."

Anna Klara Falke studierte von 2013 bis 2016 im Zwei-Fach Bachelor Geschichte und Klassische und Christliche Archäologie. Von 2016 bis 2019 studierte sie im Master Klassische und Christliche Archäologie und promoviert nun in der Klassischen Archäologie zum Thema „Antike Brücken im Vorderen Orient“.

Boardgame Historian Team Anna Falke Lukas Boch 

Wie es zur Idee ihres Blogs kam, welche Ziele sie damit erreichen möchte und weitere Fragen habe ich den beiden persönlich gestellt:

 

Wie kam es dazu, dass ihr beiden angefangen habt, euch dem Thema Geschichte und Brettspiele zu widmen?

Das ließ sich quasi nicht vermeiden. Wir haben beide Geschichte studiert (Lukas mit Schwerpunkt auf das Mittelalter, Anna als Klassische Archäologin auf die Antike) und spielen außerdem in unserer Freizeit sehr gerne Brettspiele. Geschichte ist nun mal ein Phänomen, das überall in unsere heutigen Gesellschaft anzutreffen ist und bei unseren Spielerunden konnten wir dann häufig gar nicht anders, als darüber zu reden und zu diskutieren, wie Geschichte in den Spielen umgesetzt wird In der Geschichtswissenschaft gibt es schon einige Forschung dazu, wie Geschichte in anderen sogenannten populärkulturellen Medien rezipiert wird – beispielsweise in Romanen, Filmen oder auch digitale Spielen. Gerade zu digitalen Spielen gibt es momentan sehr viel Forschung (wer sich hierfür interessiert, sollte unbedingt beim Arbeitskreis „Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele“ vorbeischauen (https://gespielt.hypotheses.org/)). Die wenigen, kurzen Beiträge zu Brettspielen kann man allerdings an einer Hand abzählen! Dass die Thematik Geschichte in Brettspielen fast noch gar nicht erforscht wird, hat uns überrascht und wir haben einfach den Entschluss gefasst, dass wir damit anfangen wollen, denn wir glauben, dass in dem Thema sehr viel Potenzial steckt. Lukas hat dann auf der SPIEL.Digital 2020 einen Vortrag zu „Das Mittelalter im modernen Brettspiel“ gehalten. Die positive Resonanz, die wir daraufhin erhalten haben, hat uns in unserem Vorhaben zusätzlich gestärkt. Ab dem Punkt kam dann der Instagram Account (https://www.instagram.com/boardgame_historian/) und wenig später der Blog (https://bghistorian.hypotheses.org/).

 

Plakat Vortrag Spiel Digital 2020

Was lässt sich allgemein darüber aussagen, wie Geschichte in Brettspielen eingebunden / wiedergegeben wird? Werden hier eher gängige Klischees bedient (z.B. große kräftige Wikinger mit Hörnern auf den Helmen) oder wird versucht Geschichte detailgetreu zu vermitteln?

Das ist gar nicht mal so leicht zu sagen, denn da gibt es riesige Unterschiede. Viel hängt von der Intention der/des Autor*in ab. Es gibt „serious games“, bei denen ganz gezielt versucht wird, Geschichte so wiederzugeben, wie der aktuelle Stand der Forschung es widerspiegelt, man verfolgt dabei einen Bildungsanspruch. Zu solchen Spielen zählen zum Beispiel „Konradin oder Interregnum“ von Gerhard Kuhlmann oder auch „Stasi raus - Es ist aus“ von Playing History und dem DDR Museum. Das Ziel solcher Spiele ist es, spielerisch Geschichte zu vermitteln und natürlich ein Interesse daran zu entwickeln, sich mehr mit der Geschichte zu beschäftigen.

Die meisten Spiele wollen sich aber vor allem gut verkaufen und sollen Spaß machen. Geschichte ist dann vielmehr ein spannendes Setting, was Spieler*innen ansprechen soll und dem Regeln einen Sinn gibt. Hier bietet es sich natürlich an, auf weit verbreitet Vorstellungen von bestimmten Epochen zurückzugreifen und die Klischees zu bedienen, die aber mitunter gar nicht der Vergangenheit entsprechen. Dass Wikinger eben keine Hörnerhelme getragen haben, ist wissenschaftlich bewiesen und eine Erfindung des 19. Jh. – trotzdem finden sich beispielsweise bei „Räuber der Nordsee“ Darstellungen solcher Hörnerhelme. Es finden sich aber auch Spiele, bei denen ganz bewusst mit Klischees gebrochen wird: Bei „Ein Fest für Odin“ steht in der Anleitung explizit, dass Wikinger eben nicht nur Fleisch gegessen und Met getrunken haben, sondern durch Agrarprodukte auch eine ausgewogene Ernährung hatten. Und wenn man es noch weiter fasst, kommt Geschichte ja auch in Fantasysettings vor – bei „Zombicide: Black Plague“ steht in der Einleitung ganz klar, dass man sich mit dem Spiel ins Mittelalter begibt, aber eben mit Zombies.

Dass Spiele Geschichte als Abenteuer darstellen und nicht alles aus Sicht der Forschung korrekt wiedergeben wird, finden wir übrigens überhaupt nicht schlimm, sondern gerade dann wird es interessant und spannend, denn so können wir untersuchen, welche Vorstellungen von einer Epoche besonders weit verbreitet sind. Allerdings gibt es hier auch Grenzen und wenn ein Spiel behauptet, die Geschichte „richtig“ wiederzugeben, sehen wir uns dann auch dazu aufgerufen, genauer hinzuschauen.

Es gibt also eine unfassbare Bandbreite, wie Geschichte in Brettspielen vorkommen kann. Dabei kann man sich natürlich fragen, welche Darstellungen denn nun richtig oder falsch sind. Das ist auch super spannend zu untersuchen und aufzudröseln, aber man läuft schnell Gefahr, nur noch auf Fehler zu verweisen, obwohl mitunter gar nicht den Anspruch der Entwickler*innen war, Geschichte triftig darzustellen. Was uns noch viel mehr interessiert, ist, welche Bilder von Geschichte in Brettspielen vorkommen und vor allem warum? Weshalb werden bei „Räuber der Nordsee“ die Wikinger mit Hörnerhelmen dargestellt, woher kommt dieses Bild und welchen Einfluss hat so eine Geschichtsvorstellung auf unser Geschichtsbewusstsein? Wie kontrovers solche Geschichtsbilder diskutiert werden können, sehen wir beispielsweise an der Kolonialismus-Debatte.

 

Was ist eurer Meinung nach über das Medium Brettspiele möglich, um Geschichte zu vermitteln bzw. was wäre die Idealvorstellung für euch, wie Brettspiele damit umgehen sollten?

Wir denken, dass Brettspiele ein großes Potenzial haben, um Menschen für Geschichte zu begeistern. Dabei geht es uns gar nicht so sehr darum, dass die Spiele bis ins kleinste Detail den Stand der Forschung abbilden sollen. Wenn jemand durch das Spielen von „Zombicide Black Plague“ dazu ermutigt wird, sich näher mit der Ständegesellschaft des Mittelalters auseinanderzusetzen, ist doch viel gewonnen. Eine andere Möglichkeit ist, durch die Regeln eines Spiels bestimmte Ideen der Vergangenheit umzusetzen. Ein schönes Beispiel ist hier die Sakristei aus dem Spiel „Orléans“ von Reiner Stockhausen. Dieses Gebäude kann nur durch den Einsatz eines Mönchs aktiviert werden und schützt den Besitzer daraufhin vor dem nächsten negativen Ereignis. Diese Vorstellung, dass durch Gebete von Klerikern Unheil abgewendet werden kann, bildet sehr gut die religiöse Lebenswirklichkeit des Mittelalters ab. Für die, die so etwas näher interessiert könnte unser Artikel zu „Wikinger im modernen Brettspiel“ interessant sein.

Durch Brettspiele lässt sich abschließend noch ein ganz anderer Umstand aufzeigen, nämlich das Geschichte immer auch eine Konstruktion ist. Immer wieder hat man das Gefühl, dass die Geschichte eine einzige gerade Linie ist, die quasi vorherbestimmt war. Dabei hätte alles auch ganz anders kommen können.  Solche Überlegungen fallen unter den Begriff kontrafaktische Geschichte. Diesen Aspekt findet man auch in Brettspielen, bspw. spielt man in „Polis - Machtkampf um die Vorherrschaft“ die beiden Städte Athen und Sparta zur Zeit des Peloponnesischen Krieges. Den Krieg hat historisch Sparta gewonnen, aber in dem Spiel ist das nicht vorgegeben, da kann auch Athen gewinnen, es kann also kontrafaktisch gespielt werden. Wie wir die Vergangenheit wahrnehmen, hängt zu einem großen Teil auch von den gesellschaftlichen Umständen ab, in denen wir aufwachsen. Am Beispiel von Brettspielen kann man sehr schön auseinanderdröseln, welche verschiedenen Vorstellungen über die Vergangenheit zu einzelnen Aspekten existieren. Besonders das Thema Mittelalter bietet sich hier an.

 

Was möchtet ihr mit eurem Blog bzw. eurem wissenschaftlichen Ansatz gerne für die Zukunft erreichen (in der Fachwelt, bei den Verlagen, bei den Spieler*innen,…)?

Wir würden uns wünschen, dass durch unsere Arbeit Brettspiele als Forschungsgegenstand innerhalb der Wissenschaft ernst genommen werden. Autor*innen stecken mitunter unglaublich viel Arbeit in die Recherche für ihre Spiele und wir würden uns wünschen, dass sich auch außerhalb der Szene ein Verständnis dafür entwickelt, dass die heutige Brettspielewelt so viel mehr ist als „Monopoly“ oder „Mensch ärgere dich nicht“. Brettspiele sind unserer Meinung nach genau wie Bücher und digitale Spiele geschichtskulturelle Produkte, in denen sich Vorstellungen Werte und Normen der Autor*innen und ihrer Entstehungszeit manifestieren. Besonders deutlich wird dies vielleicht an dem Lutherjubiläum 2017. Anlässlich dieses Ereignisses wurden auch eine ganze Reihe an Brettspielen mit dieser Thematik veröffentlicht, beispielsweise „Sola Fide“ oder „Luther - Das Spiel“. Das heißt aber auch, dass man verstehen muss, wie Geschichte in Brettspielen transportiert werden kann; erst wenn das geleistet ist, kann man mit verschiedenen Fragestellungen an das Medium herantreten. Hier ist noch viel Forschung nötig.

Seitens der Verlage würden wir uns wünschen, dass wir sie überzeugen können, mit Historiker*innen zusammenzuarbeiten. So wäre es möglich, Themen in Spiele zu integrieren, die eher unterrepräsentiert sind, beispielsweise die Geschichte von Frauen, oder auch abseitige Themen wie der Reliquienhandel. Außerdem könnte man kritische Themen wie den zweiten Weltkrieg entsprechend aufarbeiten und dafür sorgen, dass man nicht negative Stereotypen unbedacht reproduziert.

Und natürlich wollen wir Spieler*innen auch darauf aufmerksam machen, dass in Brettspielen viel mehr steckt als nur der Spielspaß, der aber natürlich trotzdem weiterhin an erster Stelle stehen sollte.

 

Was sind eure weiteren Pläne zur Erreichung dieses Ziels?

Auf der einen Seite werden wir weiterhin in der Wissenschaftscommunity durch Artikel und Vorträge auf unsere Forschung aufmerksam machen, so haben wir letztes Jahr einen Artikel zum Bild der Wikinger im modernen Brettspiel verfasst, in dem wir eine erste Idee für eine Analyse von Geschichtsbildern in Brettspielen entwickelt haben. Auf der anderen Seite wollen wir aber auch einer großen Öffentlichkeit unsere Ideen näherbringen. Unser Blog und unsere Social Media Auftritte bieten hier gute Anlaufpunkte. Für nächstes Jahr planen wir außerdem eine Tagung zum Thema Brettspiele und Geschichte. Zudem würden wir auch genau wie letztes Jahr unser Thema auf der SPIEL in Essen vorstellen.

Außerdem planen wir verstärkt Brettspiele in museale Ausstellungen einzubetten. Im Kontext solcher Ausstellung können die Besucher*innen selbstständig die Geschichtsdarstellungen in Brettspielen mit originalen Quellen sowie dem Stand der wissenschaftlichen Forschung abgleichen. Unsere Meinung nach könnte man so auch nochmal die Relevanz von wissenschaftlicher Forschung für die Lebenswelt der Besucher*innen deutlich machen.  In der Sonderausstellung „Wohlauf lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, Babel in der Bibel“ des Bibelmuseum der Universität Münster haben wir beispielsweise das Spiel „7 Wonders Babel“ integriert um zu zeigen woher die Vorstellung des Runden Turms eigentlich kommt. Aber auch in Schulen im Kontext von Geschichtsunterricht oder der politischen Bildung könnte man Brettspiele einsetzten, da Kinder und Jugendliche durch das Spielen oder das Beschäftigen mit Spielen eine Fülle an Kompetenzen erlangen können. Hierzu erscheint dieses Jahr noch eine Borschüre zu Analogen Spielen in der politischen Bildung wo wir auch Beiträge verfasst haben.

Bibelmuseum moderne rezeption Bibelmuseum seven wonders Babylon

 

Hier gibt es mehr von Boardgame Historian

Blog: Boardgame Historian. Über Geschichte in und von Brettspielen
https://bghistorian.hypotheses.org/

Twitter: @BoardgameHisto https://twitter.com/BoardgameHisto

Instagram: @Boardgame_Historian
https://www.instagram.com/boardgame_historian/

 

 

Tags: Interview, Wissenschaft, News

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